Ein Sommerbesuch im Bienenhaus

Erster Teil


„Was passiert mit mir?“ Tränen rollen über meine Wangen, ich zittere und meine Haut fühlt sich eng an, als wäre sie zu klein. Wie bei einer Larve vor dem Schlüpfen. Ich bin mitten in einer Atemsession mit meiner Co-Atemtrainerin Lisa. Das Thema der Session ist mein Sommerprojekt für dieses Jahr. Ein Aufenthalt im Bienenhaus. Ein Experiment, dass vor drei Jahren in meiner schamanischen Ausbildung begonnen hatte. Während einer der Reisen in die Traumzeit, kam ein kleiner Bienenschwarm zu mir und begann in meinem Körper und in meinen Organen Waben zu bauen. Das alles geschah so liebevoll und angenehm, wie man es sich nur vorstellen kann. Balsamisch das Wachs an meiner Haut, mütterlich einhüllend der Honigduft. Ein Gefühl von tiefgreifender Heilung und Geborgenheit. Die Bienen führten mich an einen wunderschönen Ort im Wald und damit endete die Session. Das Thema lies mich nicht mehr los. Es blieb das Gefühl, dass die Bienen mir etwas Wichtiges mitteilen wollten.

So begann ich mich zu belesen und mich mit dem Thema Bienen und Heilung zu beschäftigen, nahm Kontakt mit einer Imkerin auf und erzählte ihr von dem Erlebnis. Daraufhin sprach sie von ihrem bisher einzigartigen Bienenhausprojekt und lud mich ein, sie dort zu besuchen. Ihre Vision: „Mit den Bienen als Gastgebern einen Raum zu schaffen in dem sie sich dem Menschen mitteilen können. Sie aus ihrer Verborgenheit herauszuholen und mitten zwischen die Menschen zu bringen. Bienen sind Seismografen für den Zustand unserer Welt. Im bewussten Zusammenleben und Austausch mit ihnen, gewinnen wir Erkenntnis über Verwundbarkeit der Natur. Die Bienen zeigen uns deutlich, wenn hier etwas nicht stimmt und gleichzeitig geben sie uns Hoffnung und Heilung.“
Endlich ist es soweit: Ab Mitte Juli darf ich drei Wochen zusammen mit den Bienen des Bienenhauses im Schaumburger Land verbringen und experimentieren, wie sich deren Anwesenheit auf mich und meine Arbeit auswirkt.

Lisa leitet mich weiter langsam und stetig an, in den Brustraum zu atmen. Die Gefühle der Angst und Enge intensivieren sich. Plötzlich kommt mir der Gedanke, dass Bienen, wenn sie nicht die benötigten Bedingungen vorfinden, einfach sterben. sie wehren sich nicht, sie verändern nicht die Bedingungen, wie wir es tun würden. Sie überlassen sich einfach vertrauensvoll dem großen Ganzen.
Etwas in mir gibt nach. Arme und Beine werden schwer und etwas tief in mir entspannt sich. Ich atme weiter und mir laufen die Tränen über die Wangen. Sie sind so liebenswerte Wesen, es schmerzt, ihr Vertrauen und ihre Hingabe zu spüren. „Nein“, flüstern sie, „wir verändern nicht, das ist nicht unsere Aufgabe. Wir fügen uns ein, wir vertrauen…“

Tiefer und tiefer sinke ich ins Loslassen und Vertrauen und Lisa muss mich häufiger daran erinnern weiter zu atmen und den Prozess zu Ende zu bringen. Mein Körper ist jetzt völlig entspannt und ich muss lachen und weinen gleichzeitig, weil ich mit jeder Zelle meines Körpers fühlen kann, dass es nichts zu befürchten gibt, wenn ich mich vertrauensvoll fallen lasse. Ich fühle mich unendlich friedlich, dankbar und getragen.
Nach der Ausklang der Atemsession, sprechen Lisa und ich über das Erlebnis. In einer Gesellschaft, die uns ständig zur Veränderung drängt, uns immer neue, immer absurdere „Verbesserungen“ aufzwingt, sind wir beide berührt von der stillen Lektion aus dem Bienenreich, sich vertrauensvoll zu entspannen, liebevoll anzunehmen, was immer geschieht, ohne sich zu verausgaben oder den Wunsch einzugreifen zu müssen. Wir sind, was wir sind. Alles was wir brauchen, ist das liebevolle Annehmen dessen was wir sind.

Mit dieser Geschichte möchte ich auch ermutigen, vertrauensvoll Visionen und Träumen nachzugehen und sie nicht als Spinnerei abzutun. Bleib dran und es wird sich ein Weg auftun, der dich ganz sicher mehr zu dir selbst bringt, ein wenig glücklicher und heiler macht, deine Welt und damit auch die große Welt ein bisschen friedlicher macht.

 

Zweiter Teil

Es ist Abend. Im Bienenhaus kehrt Ruhe ein. Es duftet nach Bienenwachs. Das stetige Summen, das sonst aus den Bienenstöcken zu hören ist, wird leiser am Abend. Ich mache mich bereit für meine Meditation. Ein Versuch offen zu sein, für was die Bienen mir zu sagen haben. Setze mich hinter den Bienenkästen auf die Matte und öffne mich in ihre Richtung und … kippe nach hinten und liege einfach nur da. Keine Gedanken, keine Übung, kein nichts. Nur unendliche Erschöpfung. Nichts weiter. Mein Verstand wehrt sich. „Ich möchte jetzt Übung XY machen!“ „Streng dich gefälligst ein bisschen an!“ „Was machst du hier eigentlich?“ Doch leider vergebens. Mein Körper möchte nicht. Die Kluft zwischen Verstandeswunsch und körperlicher Wirklichkeit wird immer größer, bis ich schließlich loslasse. Geschehen lassen. Nur noch da bin. So liege da, bis es stockdunkel (wie im Bienenstock) um mich ist. Dann klaube ich meine Überreste vom Boden auf und gehe schlafen.

Eine Woche liege ich jeden Abend so da. Eigentlich bin ich jetzt ausgeruht genug, eigentlich müsste ich doch jetzt … Aber ich beginne zu verstehen. Das ist ihre Botschaft. Tue nichts. Das ständige Tun erschöpft die Welt. Es ist genug. Stop! Auch die Honigbienen beginnen jetzt ruhiger zu werden und sich auf den Winter vorzubereiten. Der Sommer hat seinen Zenit erreicht und die Tage werden schon wieder kürzer.

Eine Klientin kommt zur Massage. Wir unterhalten uns über ihre Situation. Nach ein paar Sätzen fällt auch sie nach hinten, gähnt und meint, wie sehr der Ort sie hier ihre Erschöpfung spürt und sie nach und nach in die Ruhe führt. Es flüstert, lass los… lass sein…

Wir sollten aufhören, in einer künstlich geschaffenen Welt funktionieren zu wollen. Lasst uns wieder Wege finden, die Grenzen unseres Körpers VOR der totalen Erschöpfung zu fühlen und zu respektieren, genauso wie auch die der lebendigen Umwelt. Wir erschöpfen uns für andere, die es nicht gut mit uns meinen. Für uns wird eine künstliche Welt errichtet, die uns nicht wirklich nährt, nicht wirklich fördert, nicht wirklich achtet. Bienen sind in dieser Welt nur Ware und Profit. Genau wie wir. Hier im Bienenhaus ist es gemütlich. Warme, natürliche Farben, weiche Formen vermitteln ein Gefühl von Geborgenheit. Der Ausblick durch die großen Fenster aufs Tal schafft ein Gefühl von Freiheit und Weite.

Im Raum der Bienen fühlt es sich familiär an. Jeder macht, was er kann, so gut es geht. Niemand muss beweisen, dass er Superkräfte hat, niemand muss „da alleine durch“. Wenn alle mithelfen und die Umstände günstig sind, wird alles Nötige geschafft, ohne dass sich der Einzelne erschöpfen muss. Ich glaube, was hier im Bienenhaus in uns angestoßen wird, ist die Sehnsucht nach einer heilen Welt. Eine Welt, wie ich sie noch aus meiner Kindheit kenne. Hier existiert sie noch.

Die Bienen fliegen zu sehen, ist ein Bild der Freude. Das Summen von Bienen auf einer Sommerwiese, ihr geschäftiges ein und aus am Bienenstock, die fruchtige Süße des Honigs auf der Zunge lassen uns lächeln und machen uns glücklich. Heute wissen wir, dass ihr Summen eine Frequenz hat, unser Nervensystem heilen kann. Dass ihr Honig und die anderen Produkte der Bienen nicht nur besonders nahrhaft sind und gut schmecken, sondern auch heilsam und lindernd bei den verschiedensten Krankheiten sind. Ihr Wirken in der Welt und für uns Menschen ist unverzichtbar. Eine Welt ohne sie kann und will ich mir nicht vorstellen. Die Bienen aus meinem Traum (siehe Teil 1) haben mich schließlich zurück in die wirkliche Welt geführt. Viele Geschichten haben sich hier an diesem Ort verwoben und sich mir offenbart.

Die Geschichte der Entstehung und Umsetzung eines Traumes von der heilenden Verbindung von Bienen und Menschen im Bienenhaus, die Geschichte einer Imkerei, die Geschichte einer Familie von starken, sich durchsetzenden Frauen über drei Generationen. Geschichten von Heilung, Verbundenheit, und dem unerschütterlichen Glauben, an einer bessere Welt. Noch lange werden diese Geschichten in mir arbeiten. Ihre Essenz wird sich mit der Zeit in einem magisch-alchemistischen Prozess in einen Honig mit einzigartigem Duft und Süße verwandeln. Auch ich lasse mich davon verwandeln und auf meiner weiteren Reise begleiten. Er bestärkt mich in meiner Suche nach Orten, die inspirieren weiter zu machen und den Glauben an Heilung, Weiterentwicklung und Menschlichkeit aufrechtzuerhalten. Den besonderen Duft des Bienenhauses und der Schaumburger Waldimkerei trage ich dabei mit mir.

 

Ute Baacke

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